Vatertag: “… verwaiste Väter trauern…”
Peine – „Es ist einer der schlimmsten Tage im Jahr“, sagt mir Achim und meint damit den Vatertag, der in Deutschland traditionell immer schon an Christi Himmelfahrt gefeiert wird. „Der ist schlimmer als Ostern oder Weihnachten, fast so schlimm wie Jules Geburtstag“. Jule ist seine Tochter. Achim besucht sie oft, so oft er kann. Aber er kann nicht immer.
Nicht immer hat er die Zeit, oft auch nicht die Kraft, Jule zu besuchen, an ihrem Grab zu sitzen. Er denkt dann: „Es ist doch nicht richtig, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben, oder?“ Wir sitzen auf Abstand im Evangelischen Trauerhaus und schweigen gemeinsam. Ich weiß aus vielen Gesprächen, wie furchtbar es sich meist anfühlt, wenn Eltern ihre Kinder bestatten müssen.
Und ich weiß auch: Achim ist einer von vielen verwaisten Vätern, die den Vatertag nicht als schönen Tag erleben, als einen Tag mit Freunden und Kumpels, mit einem Bollerwagen voller Bier, und am Ende des Tages ist der Bollerwagen leer und die Männer sind voll. Für Achim ist es immer auch ein Tag der besonderen Trauer.
Seine Frau sei sehr emotional in ihrer Trauer, doch er? „Versteinert“, sagt er, und „dass er die Verantwortung trage für die Familie und das Geld nach Hause bringen müsse“. Schon als Kind habe er gelernt, dass ein Indianer keinen Schmerz kenne. Doch die Trauer ist da: Väter, deren Kind gestorben ist, trauern. Anders manchmal…, aber sie trauern.
So auch Achim: Wenn die Zeit es zulässt und seine innere Kraft, dann besucht er seine Jule, redet mit ihr, weint, ist ihr stumm nahe. Dann trocknet er seine Tränen, versteinert wieder und widmet sich seinem Alltag. Lange Jahre hat Achim so auch den Vatertag gefeiert, bis er für sich merkte: „Ich kann das so nicht mehr“; jetzt ist er allein, wenige Freunde – „Ich brauche keine Hand, um sie abzuzählen“ – besuchen ihn dann. Manchmal.
Ich bemerke, wie unsere Gespräche auch mich verändern. Ich werde in diesem Jahr am Vatertag nicht nur Christi Himmelfahrt und meines verstorbenen Vaters gedenken, sondern ich werde auch an Väter wie Achim denken, ihnen auf die Entfernung Kraft wünschen, ihre Trauer zu überleben, mit ihrer Trauer zu leben.
Und ich denke intensiv über ein Format für trauernde Männer nach, nicht nur Väter, die ihre Kinder verloren haben, sondern auch Brüder, deren Geschwister gestorben sind, Ehemänner, die den Tod ihrer Ehefrau beklagen, Männer, deren beste/r Freund/in nicht mehr lebt. Sie alle trauern, jeder auf seine Weise.
Kontakt: Frank O. Witt, Systemischer Trauerbegleiter i.A., Evangelisches Trauerhaus Peine, Gunzelinstr. 31, 31224 Peine, Tel 05171 733 488, trauerhaus@kirche-peine.de